S 21

Das können wir uns sparen

70 Prozent aller Stuttgarter/innen sind sich einig in der Ablehnung des teuren Umbaus ihres Kopfbahnhofs zu einem unterirdischen Bahnhof. Ihr Schlachtruf: "Oben bleiben"

Einig in Stuttgart: Kopf hoch und immer schön "Oben bleiben"

foto: imago/Pressefoto Kraufmann&Krauf

VON Werner Sauerborn

Mit großem Tamtam hat Bahnchef Rüdiger Grube Anfang des Jahres den "Baubeginn" von Stuttgarts neuem Bahnhof S 21 inszeniert, indem er einen alten Prellbock aus der Verankerung heben und wieder abstellen ließ. So werden ungeliebte Großprojekte durchgesetzt: Obwohl entscheidende Planungsfragen noch offen sind, werden erste Fakten geschaffen. Das erzeugt Druck auf Gerichte, die Widersprüche zu behandeln haben. Oder auf die Ingenieure des Eisenbahnbundesamtes, in Sicherheitsfragen Kompromisse einzugehen, etwa beim Bau der 33 Kilometer langen Tunnel. Vor allem aber: Die Leute sollen entmutigt werden - ihr Widerstand sei zwecklos.

Wer jedoch wie die Stuttgarter/innen jahrelang millionenteuren Werbedruck (Riesenbanner, Kinospots, Ausstellungen, Postwurfsendungen) gelassen ertragen hat, lässt sich durch die dritte oder vierte Endgültigkeitserklärung nicht verunsichern. Die Zahl der Gegner/innen steigt, die Proteste werden lauter. Die Stadt ist in der S 21-Frage nicht gespalten; die Stadt hat sich entschieden. Die Ablehnungsquote dürfte bei 70 Prozent liegen, in ganz Baden-Württemberg hat sie laut Emnid 58 Prozent erreicht. Der Widerstand hat die Schwabenmetropole wachgeküsst. Viele tragen "Oben bleiben"-Buttons, man grüßt sich, überall kleben Sticker mit durchgestrichenem S 21.

Pulsschlag des Widerstands sind die Montagsdemos. Vor Weihnachten wurden sie von ein paar Aktiven begonnen, inzwischen treffen sich jeden Montag um 18 Uhr drei- bis fünftausend Stuttgarter/innen vor ihrem Bahnhof, von der Verkäuferin bis zum Professor oder der Anwältin. Es folgt eine halbe Stunde Protest mit Prominenz, Fachleuten und Aktivisten, neuen Infos, Ideen und Musik - und das schon über 30mal. Initiiert von Roland Hamm, dem IG Metall-Bevollmächtigten in Aalen, haben ver.di-, IG BAU- und IG Metall-Kolleg/innen die "GewerkschafterInnen gegen S 21" gestartet, eine Initiative, die landesweit gegen den überflüssigen Neubau trommelt.

Aufschlussreich ist auch der Vergleich der offiziellen S 21-Website mit den Internetangeboten des Widerstands. Hier unpersönliche Ödnis, da pralles Leben. Zum Beispiel www.parkschuetzer.de. Auch so eine Idee. Klaus Gebhard - Gründer der Initiative "Parkschützer" - hatte sie, viele fanden sie gut. Auf der Seite kann man sich in vier verschiedenen "Radikalitätsstufen" registrieren. 15000 haben grundsätzlich ihren Protest gegen das Abräumen des Schlossgartens erklärt, 1 500 davon sind entschlossen, sich notfalls an Bäume und Baufahrzeuge zu ketten. In Dutzenden AGs und auf Treffen wird der zivile Widerstand trainiert, für den Fall, dass gute Argumente und klare Mehrheiten am Ende ignoriert werden.

Ab in den Gewölbekeller

Seit Herbst 2009 sind die Gewerkschaften dabei: ver.di, IG Metall Stuttgart, viele Gliederungen und am Ende auch der DGB Baden-Württemberg haben beschlossen, dem Bündnis gegen S 21 beizutreten und den Widerstand zu unterstützen. Ein Novum, denn in der Nachkriegsgeschichte waren die Gewerkschaften eher mit von der Partie, wenn es um die "autogerechte Stadt" oder den Abriss von Baudenkmälern im Namen von Fortschritt, Wachstum und Arbeitsplätzen ging. So anfangs auch bei S 21. Das Umdenken kam von unten. Bestimmend waren Fragen wie diese: In welcher Stadt wollen wir leben? Wollen wir eine ressourcenschonende und geschichtsbewusste Modernisierung oder einen radikalen Schnitt? Stuttgarter/innen diskutierten, ob sie weiter oberirdisch reisen oder in einen Gewölbekeller einfahren wollen, und stellten fest, ein nutzerfreundlicher Bahnhof mit kurzen Wegen ist ihnen lieber als ein Tiefbahnhof mit nur noch vier Bahnsteigen. Und bietet die durch den Bau frei werdende Gleisfläche wirklich neue Stadtentwicklungsmöglichkeiten, oder öffnet sich durch die Privatisierung dieser Flächen nur eine neue Spielwiese für Spekulanten?

Und wer zahlt?

Der Umbau des Kopfbahnhofs wird eines der größten Bauprojekte Europas. Beim Start des Projekts im Jahr 1996 war von zweieinhalb Milliarden Euro Baukosten die Rede, heute werden 4,1 Milliarden eingestanden. Der Bundesrechnungshof veranschlagt 5,3 Milliarden Euro. Mit diesen Milliarden sollen in Zeiten explodierender Verschuldung die Haushalte von Bund, Land und Stadt belastet werden. Viele Bürger/innen befürchten, dass am Ende sie die Rechnung zahlen - durch noch tiefere Einschnitte in öffentliche Leistungen und Einrichtungen. Ein einmal gefasster Gemeinderatsbeschluss reicht als demokratische Legitimation für ein so großes Bauvorhaben nicht aus, wie die Mehrheitsparteien CDU, FDP, Freie Wähler und SPD meinten, als sie einen Bürgerentscheid ablehnten - obwohl sich in einem Bürgerbegehren 67000 statt der erforderlichen 20000 Bürger/innen dafür ausgesprochen hatten. Politiker sollten einlenken, wenn die Bürger so nachhaltig anderer Meinung sind, bei Wahlen die S 21-Parteien abstrafen und den Gegner-Parteien (Grüne, Linke, Bündnis Stuttgart Ökologisch Sozial) einen mehr als zwölfprozentigen Zuwachs bescheren und die Grünen stärkste Gemeinderatsfraktion werden - eindeutig wegen ihrer klaren Haltung gegen S 21.

Nicht mal neue Jobs

Mit dem Verweis auf neue Arbeitsplätze und Standortstärkung sollen die Gewerkschaften geködert oder zumindest neutral gehalten werden. Doch bei genauem Hinsehen ist die Arbeitsplatzbilanz von S 21 negativ. Die Alternative Kopfbahnhof und die somit freibleibenden Mittel für Daseinsvorsorge und sinnvollere öffentliche Investitionen bringen oder sichern mehr Arbeitsplätze. Außerdem geht es um gute Arbeit. Wenn Bahnchef Rüdiger Grube ankündigt, die Kosten durch "höheren Ausschreibungsdruck" zu senken, heißt das: Hier werden Dumping­löhne bei Sub-Subunternehmen bewusst einkalkuliert. Das sieht auch die zuständige IG BAU so. Ihre Vertreter haben auf der DGB-Bezirkskonferenz mehrheitlich gegen S 21 gestimmt. "Als Betriebsratsvorsitzender einer Gleisbaufirma glaube ich nicht an die Versprechungen, dass der Bau eines Tiefbahnhofs bei uns viele Arbeitsplätze schaffen würde", sagt Jakob Seybold, Vorsitzender der IG BAU Stuttgart. "Die Modernisierung des Kopfbahnhofs würde den mittelständischen Firmen in unserer Region wesentlich mehr Arbeit bringen." Die Unterstützer/innen der Kampagne "Oben bleiben" fordern den Ausstieg aus dem Projekt. Sie wollen ihren Protest auch in Berlin vorbringen.

Stuttgart 21

Neben dem Gotthard-Basis-Tunnel ist S 21 das größte Bauprojekt Europas.

Umbau des Kopfbahnhofs in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof im Zentrum der Großstadt Stuttgart.

Teilabriss des denkmalgeschützten Bahnhofsgebäudes von Paul Bonatz, Fällung von 300 teils uralten Bäumen im historischen Schlossgarten. Bau eines neuen Stadtquartiers auf dem bisherigen Gleisvorfeld.

Kosten: 2,5 Milliarden Euro hieß es beim Projektstart 1996, heute ist von 4,1 Milliarden die Rede. Laut Bundesrechnungshof 5,3 Milliarden, nach dem Gutachten von Vieregg & Rössler 6,9 bis 8,7 Milliarden.

Gegenentwurf K 21: Modernisierung des Kopfbahnhofs für ein Drittel der Kosten

www.das-neue-herz-europas.de

www.Kopfbahnhof-21.de

www.parkschuetzer.de

www.gewerkschaftergegenS21.de